Beginn der Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer bei Auffinden eines Testaments
Das Erbschaftsteuerrecht stellt in der Praxis immer wieder komplexe Fragen, insbesondere hinsichtlich der Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer und dem Zeitpunkt, an dem ein Erbe von seinem Erwerb Kenntnis erlangt. Ein aktuelles Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 4. Juni 2025 (Az. II R 28/22) beleuchtet diese Fragestellung und gibt wichtige Hinweise zur Anwendung des § 170 Abs. 5 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) im Zusammenhang mit einem testamentarischen Erwerb. Im Mittelpunkt steht die Frage, wann ein Erbe „sichere Kenntnis“ von seiner Erbeinsetzung erlangt hat und ab wann die Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer beginnt.
Streit um die Wirksamkeit eines Testaments
Im vorliegenden Fall hatte die Erblasserin im Jahr 1983 ein Testament verfasst, in dem sie ihren Neffen und dessen Schwester zu gleichen Teilen als Erben einsetzte. In einem späteren Testament aus dem Jahr 1988 setzte sie ihren Neffen zum Alleinerben ein. Da die Testamente zunächst nicht bekannt waren, erteilte das Nachlassgericht 1989 einen Erbschein, der die beiden Geschwister als Erben zu je 50 Prozent auswies, basierend auf der gesetzlichen Erbfolge.
Erst im Mai 2003 legte der Kläger, der Neffe, dem Amtsgericht das Testament vom 11. August 1988 vor und beantragte die Erteilung eines Erbscheins, der ihn als Alleinerben ausweist. Doch seine Schwester widersprach und argumentierte, die Erblasserin sei beim Verfassen des Testaments testierunfähig gewesen. Nach jahrelangen rechtlichen Auseinandersetzungen wurde dem Kläger schließlich am 7. Oktober 2009 ein Erbschein ausgestellt, der ihn als Alleinerben bestätigte.
Trotz der zwischenzeitlich ergangenen Feststellung des Erbes trat das Finanzamt 2010 mit einem Änderungsbescheid an den Kläger heran und setzte Erbschaftsteuer fest, basierend auf der Annahme, dass der Kläger nunmehr Alleinerbe sei. Der Kläger wendete ein, dass die Festsetzungsfrist längst abgelaufen sei, da die Steuer bereits 1994 festgesetzt worden war. Die Finanzbehörde folgte dieser Argumentation jedoch nicht und stufte den Zeitpunkt des Erlasses des Erbscheins 2009 als maßgeblich für den Beginn der Festsetzungsfrist ein.
Beginn der Festsetzungsfrist
Im Kern stand die Frage, ab wann die Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer beginnt. Grundsätzlich regelt § 169 Abs. 1 Satz 1 AO, dass eine Steuerfestsetzung nur dann geändert werden kann, wenn die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Für die Erbschaftsteuer beträgt diese Frist in der Regel vier Jahre, beginnend mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Diese Steuer entsteht bei Erwerben von Todes wegen mit dem Tod des Erblassers.
Doch für den Erwerb von Todes wegen gilt nach § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO eine Ausnahme: Die Festsetzungsfrist beginnt nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erwerber Kenntnis von dem Erwerb erlangt hat. Diese Regelung zielt darauf ab, dem Erben Zeit zu geben, den Erwerb tatsächlich zu erkennen, bevor die Frist zu laufen beginnt.
Die Entscheidung des BFH
Der Bundesfinanzhof entschied, dass die Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer erst ab dem Zeitpunkt beginnt, an dem der Erbe „sichere Kenntnis“ von seiner Erbeinsetzung hat. Der maßgebliche Zeitpunkt für den Beginn der Frist war daher nicht die Erteilung des Erbscheins im Jahr 1989, da dieser lediglich auf der gesetzlichen Erbfolge beruhte, sondern der Zeitpunkt der Entscheidung des Nachlassgerichts im Jahr 2007, als dieses dem Kläger aufgrund des Testaments aus dem Jahr 1988 die Alleinerbschaft bescheinigte.
Das Gericht stellte klar, dass ein Erbe nicht allein durch die Kenntnis des Testaments „sichere Kenntnis“ von seiner Erbeinsetzung erlangt. Vielmehr muss der Erbe davon ausgehen können, dass das Testament rechtsgültig ist und nicht später widerrufen oder geändert wird. Dies war im vorliegenden Fall erst im Jahr 2007 gegeben, als das Nachlassgericht seine Entscheidung traf.
Für die Festsetzungsfrist bedeutete dies, dass die Frist zur Erhebung der Erbschaftsteuer nicht 1989, sondern erst 2007 begann und somit 2011 endete. Da das Finanzamt den Änderungsbescheid erst 2010 erließ, befand sich dieser noch innerhalb der Frist und war daher rechtsgültig.
Praktische Bedeutung der Entscheidung
Dieses Urteil hat weitreichende Bedeutung für alle, die mit der Erbschaftsteuer und dem Erbscheinverfahren zu tun haben. Es zeigt, dass der Beginn der Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer nicht immer eindeutig ist und vom Zeitpunkt abhängt, an dem der Erbe tatsächlich „sichere Kenntnis“ von seiner Erbeinsetzung hat. In Fällen, in denen das Testament erst nachträglich bekannt wird oder rechtliche Auseinandersetzungen über die Wirksamkeit des Testaments geführt werden, wird der Beginn der Frist nach dem Zeitpunkt der endgültigen gerichtlichen Entscheidung über die Erbeinsetzung bemessen.
Für Erblasser und Erben bedeutet dies, dass sie sich der Bedeutung eines frühzeitigen und rechtskräftigen Erbscheins bewusst sein müssen, insbesondere wenn mehrere Testamente existieren oder rechtliche Unsicherheiten bestehen. Wer später vom Erbe Kenntnis erlangt oder ein Testament erst zu einem späteren Zeitpunkt bekannt wird, muss die Auswirkungen auf die Steuerfestsetzung im Auge behalten und gegebenenfalls die Festsetzungsfrist überprüfen lassen.
Fazit
Das Urteil des BFH verdeutlicht eine wichtige Feinheit im Erbschaftsteuerrecht: Der Beginn der Festsetzungsfrist ist nicht nur von der Entstehung der Steuer abhängig, sondern auch von der „sicheren Kenntnis“ des Erben über seine Erbeinsetzung. Dies kann gerade in komplexen Erbfällen mit mehreren Testamentsurkunden und langwierigen Erbscheinverfahren von großer Bedeutung sein. Erben sollten daher stets prüfen, wann sie tatsächlich „sichere Kenntnis“ von ihrer Erbschaft erlangt haben, um mögliche steuerliche Nachteile zu vermeiden.
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