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Zwischen Vorsatz und grober Fahrlässigkeit – Eine steuerstrafrechtliche Bewertung von Kryptowährungen

23. Mai 2025

In der Praxis der Steuerfahndung rückt ein Thema zunehmend in den Fokus: die unterlassene Erklärung von Gewinnen aus Kryptowährungsgeschäften. Nicht selten steht dann der Vorwurf im Raum, es sei eine Steuerhinterziehung nach § 370 der Abgabenordnung (AO) begangen worden. Doch wann liegt tatsächlich eine strafbare Handlung vor – und wann nicht?

Zunächst ist festzuhalten, dass Gewinne aus dem Verkauf oder Tausch von Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum grundsätzlich steuerpflichtig sein können. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 14. Februar 2023 (IX R 3/22, BStBl II 2023, 537) entschieden, dass es sich bei Kryptowährungen um „andere Wirtschaftsgüter“ im Sinne von § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) handelt. Damit unterliegen entsprechende Veräußerungsgewinne innerhalb eines Jahres nach Anschaffung der Besteuerung als private Veräußerungsgeschäfte.

Diese höchstrichterliche Klarstellung erfolgte jedoch erst im Jahr 2023 – und damit deutlich nach dem Zeitraum, der in vielen derzeitigen Verfahren steuerstrafrechtlich relevant sei. Bis zur Entscheidung des BFH bestand erhebliche Unsicherheit hinsichtlich der steuerlichen Behandlung von Kryptowährungen. Besonders für frühere Veranlagungszeiträume und in den Anfangszeiten von Krypto fehlten klare gesetzgeberische oder höchstrichterliche Vorgaben, während die finanzgerichtliche Rechtsprechung uneinheitlich war. Das Finanzgericht Nürnberg hat in einem Beschluss vom 8. April 2020 (3 V 1239/19) explizit auf ernstliche Zweifel an der Steuerpflicht hingewiesen und betont, dass der BFH bislang nicht entschieden habe, ob eine Kryptowährung ein Wirtschaftsgut im steuerlichen Sinne darstelle. Auch das Finanzgericht Baden-Württemberg hatte bereits 2018 (Urteil vom 2. März 2018 – 5 K 2508/17) im Zusammenhang mit Spekulationsgeschäften auf erhebliche rechtliche Unsicherheiten hingewiesen. Demgegenüber vertrat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg in einem Beschluss vom 20. Juni 2019 (13 V 13100/19) die Auffassung, es bestünden keine Zweifel an der Steuerpflicht – eine Argumentation, die vom FG Nürnberg ausdrücklich als „nicht nachvollziehbar“ kritisiert wurde.

Diese Uneinigkeit in der Fachgerichtsbarkeit ist kein akademisches Detail, sondern ein Indiz, was gegen den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung spräche. Zudem werden erst seit dem Veranlagungszeitraum 2023 in den Steuererklärungsvordrucken (Anlage SO) explizit Einkünfte im Zusammenhang mit Kryptowerten aufgeführt.

Für die strafrechtliche Bewertung im Rahmen von § 370 AO ist zudem der subjektive Tatbestand – der (Eventual-)Vorsatz – entscheidend. Dieser liegt nur dann vor, wenn der Steuerpflichtige die Möglichkeit der Steuerpflicht erkannt oder die Steuerverkürzung billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2009 – 1 StR 491/09; BFH, Urteil vom 31.07.1996 – XI R 74/95). Fehlt es an dieser inneren Tatseite, etwa weil der Steuerpflichtige einem entschuldbaren Rechtsirrtum unterlag, liegt keine Steuerhinterziehung vor. So hat der Bundesgerichtshof bereits 1986 entschieden, dass der Vorsatz fehlt, wenn der Steuerpflichtige die Steuerpflicht nicht erkennt (BGH, Urt. v. 05.03.1986 – 2 StR 666/85). Der BFH hat diesen Grundsatz 2011 ausdrücklich bestätigt (BFH, Urt. v. 14.04.2011 – VI R 29/09).

Hinzu treten persönliche und tatsächliche Umstände, die eine vorsätzliche Tat weiter in Frage stellen. Viele Steuerpflichtige nutzten regulierte Handelsplattformen wie Coinbase oder Bitcoin.de, die eine Identitätsprüfung (KYC) erfordern. Es finden sich kaum Hinweise auf typische Hinterziehungsstrukturen wie Offshore-Konten, anonyme Wallets oder sogenannte Mixer. In einer Vielzahl von Fällen wurde zudem erst durch die spätere Aufarbeitung – etwa mit Hilfe von CoinTracking – ein vollständiger Überblick über die Transaktionen gewonnen. Eine bewusste Steuerverkürzung liegt in diesen Fällen fern.

Wer sich – mangels klarer amtlicher Information – auf öffentlich zugängliche, aber rechtlich nicht belastbare Quellen wie Foren oder YouTube-Videos verlassen hat, handelt allenfalls fahrlässig. Eine solche leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) ist zwar bußgeldbewehrt, stellt jedoch keine Straftat dar und zieht insbesondere keine Hinterziehungszinsen (§ 235 AO), keine verlängerte Verjährungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO) und keine Strafzuschläge nach § 398a AO nach sich.

Die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit ist daher zentral. Erstere führt zu erheblichen strafrechtlichen Folgen, letztere lediglich zu einer Korrektur im Rahmen des Steuerbescheids. Das Finanzgericht Nürnberg hat in einer aktuellen Entscheidung vom 22. Januar 2025 (3 K 760/22) ausdrücklich festgestellt, dass die Rechtslage für Laien über Jahre hinweg unklar war und eine vorsätzliche Pflichtverletzung nicht erkennbar sei.

Fazit: Wer in den Jahren vor 2023 keine Gewinne aus Kryptowährungen erklärt hat, ist nicht automatisch Steuerhinterzieher. Maßgeblich ist stets die individuelle Erkenntnislage, das tatsächliche Verhalten und der rechtliche Kontext der jeweiligen Jahre. Eine differenzierte Prüfung ist geboten – und sie kann entscheidend sein, um zwischen einer bloßen Nachlässigkeit und einem strafrechtlichen Vorwurf zu unterscheiden.

Zu diesem Thema sowie zu allen anderen steuerrechtlichen Themen beraten wir Sie gerne umfassend. Sie erreichen uns unter der Nummer 040/ 528 403 – 0 oder per E-Mail unter info@rugefehsenfeld.de.

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