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Geschlechterdifferenzierende Sterbetafeln in der Erbschaft- und Schenkungsteuer – zulässige Ungleichbehandlung oder Verfassungsverstoß?

13. Juni 2025

Bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer spielt die Bewertung sogenannter „lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen“ – wie etwa Nießbrauchsrechte – eine wichtige Rolle. Um diese Werte realistisch zu ermitteln, wird auf sogenannte Sterbetafeln zurückgegriffen. Sterbetafeln sind statistische Tabellen, die auf umfangreichen Bevölkerungsdaten beruhen und angeben, wie hoch die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen eines bestimmten Alters und Geschlechts ist. Mit ihrer Hilfe kann berechnet werden, wie lange eine Person voraussichtlich noch lebt – also zum Beispiel, wie lange sie ein Nießbrauchsrecht nutzen kann. Daraus ergibt sich ein sogenannter Vervielfältiger, der dann zur Bewertung des steuerlich relevanten Kapitalwerts dient.

Das Bewertungsgesetz (§ 14 BewG) schreibt vor, dass diese Vervielfältiger geschlechtsspezifisch berechnet werden. Die Differenzierung beruht auf der statistisch längeren Lebenserwartung von Frauen im Vergleich zu Männern. Diese gesetzliche Regelung wurde nun durch den Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 20.11.2024 (II R 38/22) auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin überprüft.

Ausgangspunkt des Verfahrens war ein klassischer Fall der vorweggenommenen Erbfolge: Ein Vater übertrug unentgeltlich Anteile an einer GmbH auf seine Kinder, behielt sich aber ein lebenslanges Nießbrauchsrecht vor. Bei der Berechnung der Schenkungsteuer wurde der Kapitalwert dieses Nießbrauchs – steuermindernd – anhand des Alters und Geschlechts des Vaters ermittelt. Dagegen wandte sich der Erwerber mit der Begründung, die unterschiedliche Bewertung sei diskriminierend.

Der BFH stellte jedoch klar: Die Differenzierung nach dem Geschlecht bei der Anwendung der Vervielfältiger verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Die unterschiedliche Lebenserwartung sei ein objektiv begründbarer Faktor, der zu einer realitätsgerechten Bewertung beitrage. Die geschlechtsspezifische Differenzierung führe also nicht zu einer willkürlichen Ungleichbehandlung, sondern zu einer sachgerechten Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

Selbst wenn sich in Einzelfällen steuerliche Vor- oder Nachteile ergeben könnten, sei dies hinzunehmen. Eine geschlechtsneutrale Durchschnittsbewertung würde den gemeinen Wert der Nutzung verfehlen und die gesetzliche Zielsetzung einer wirklichkeitsnahen Besteuerung unterlaufen. Auch alternative mathematische Modelle reichen nach Ansicht des Gerichts für einen Nachweis eines abweichenden Werts nicht aus. § 14 Abs. 4 BewG erlaube nur den Nachweis eines tatsächlich abweichenden gemeinen Werts, nicht aber bloße Modellrechnungen.

Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht wurde vom BFH ebenfalls abgelehnt. Die Regelung sei nicht nur verfassungsrechtlich unbedenklich, sondern für eine systemgerechte und leistungsgerechte Bewertung sogar erforderlich.

Fazit: Die Verwendung geschlechterdifferenzierender Sterbetafeln bei der Bewertung von Nießbrauchsrechten für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist verfassungsrechtlich zulässig. Sie stellt keine unzulässige Diskriminierung dar, sondern ist Ausdruck einer typisierenden, aber realitätsnahen und systemgerechten Bewertungspraxis im Sinne einer gleichheitsgerechten Besteuerung. Der BFH betont, dass die Anknüpfung an das Geschlecht auf einem sachlichen Grund beruht – nämlich der objektiv unterschiedlichen statistischen Lebenserwartung. Ziel ist es, den gemeinen Wert der Nutzung möglichst wirklichkeitsnah abzubilden. Für die Praxis bedeutet das: Die unterschiedlichen Vervielfältiger bleiben anzuwenden – auch wenn sich daraus im Einzelfall steuerliche Vor- oder Nachteile ergeben. Ein Umdenken ist aus rechtlicher Sicht nicht geboten. Die Bewertung bleibt damit, was sie nach dem Gesetz sein soll: realistisch, nachvollziehbar und verfassungskonform.

Zu dem Thema sowie zu allen anderen steuerlichen und erbrechtlichen Themen beraten wir Sie gerne umfassend. Sie erreichen uns unter der Nummer 040/ 528 403 – 0 oder per E-Mail unter info@rugefehsenfeld.de.

 

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