Testamentsanfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten
Immer wieder werden Testamente nicht regelmäßig erneuert, obwohl sich die Lebensumstände verändert haben. Besonders häufig kommt es vor, dass der Erblasser erst nach der Testamentserrichtung heiratet und bei Errichtung nicht an eine Heirat gedacht hat.
Die Folge hiervon ist, dass ein zum Zeitpunkt des Erbfalls vorhandener Pflichtteilsberechtigter erst nach Errichtung der Verfügung pflichtteilsberechtigt geworden ist und daher im Testament übergangen worden sein kann.
Dieses Übergehen stellt einen besonderen Anfechtungsgrund nach § 2079 BGB dar.
Die Vorschrift dient dem Gedanken, dass ein testierender Erblasser verantwortungsbewusst die gesetzlichen Erbrechte des Ehegatten und der nächsten Angehörigen berücksichtigt, indem dieser eine gerechte Erbregelung schafft.
Damit die Anfechtung wirksam ist, muss jedoch einiges beachtet werden:
Voraussetzungen der Anfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten, § 2079 BGB
Zunächst bedarf es überhaupt eines Pflichtteilsberechtigten. Eine solche Pflichtteilsberechtigung ergibt sich aus § 2303 BGB. Als Anfechtungsberechtigte kommen demnach nur Abkömmlinge des Erblassers, sein Ehegatte oder gleichgeschlechtlicher Lebenspartner sowie seine Eltern in Betracht.
Dieser Pflichtteilsberechtigte müsste im Sinne des § 2079 BGB „übergangen“ worden sein.
Das Übergehen müsste entweder in Unkenntnis des Erblassers über die Existenz oder Pflichtteilsberechtigung des Übergangenen geschehen sein (§ 2079 S. 1 Alt. 1 BGB) oder der Pflichtteilsberechtige dürfte zum Zeitpunkt der Erstellung des Testaments noch nicht geboren oder noch nicht pflichtteilsberechtigt gewesen sein (§ 2079 S.1 Alt. 2 BGB).
Das Gesetz vermutet, dass ein Erblasser bei Kenntnis der Sachlage den Pflichtteilsberechtigten nicht übergangen hätte. Die Kausalität des Irrtums ist hierbei irrelevant.
Wann liegt ein „Übergehen“ vor?
Maßgeblich ist dementsprechend das „Übergehen“ als solches. In welchen Fällen dies vorliegt, ist in der Rechtsprechung und in der Literatur umstritten.
Zum einen wird die Auffassung vertreten, dass ein Übergehen nur vorliegt, wenn der Pflichtteilsberechtigte in keiner Weise berücksichtigt wird. Genauer gesagt, wenn der Berechtigte weder enterbt noch als Erbe eingesetzt oder in einem Vermächtnis bedacht ist.
Für diese Ansicht sprechen gute Argumente: Der Sprachgebrauch sowie der daraus abzuleitende Wortsinn spricht für eine solch objektive Auslegung des Übergehens.
Es wird indes auch angenommen, dass ein Übergehen bereits vorliegt, wenn der Bedachte zwar durch die Errichtung einer Verfügung begünstigt wird, jedoch zum Zeitpunkt der Errichtung noch nicht als Pflichtteilsberechtigter zählte. Die Zuwendung wurde in solch einem Fall nicht in Hinblick auf die Stellung als gesetzlicher Pflichtteilsberechtigter getätigt. Dabei wird die Rechtsposition des Berechtigten vom Erblasser genauso wenig berücksichtigt, wie wenn der Erblasser die Rechtposition überhaupt nicht bedacht hätte.
Gerechtfertigt wird diese Ansicht, indem auf den Zweck der Norm abgestellt wird. Dieser liegt darin, die Rechtsposition des Pflichtteilsberechtigten, nämlich sein gesetzliches Erbrecht, zu schützen. Daher sei auch hier ein Übergehen anzunehmen, solange die Zuwendung unter dem gesetzlichen Erbteil bleibt.
Da die Anfechtung des § 2079 BGB den Willen des Erblassers vernichtet, ist eine besonders enge Auslegung geboten. Demnach gibt der Wortlaut nicht eindeutig her, dass eine Übergehung auch angenommen werden soll, wenn die Zuwendung unter dem gesetzlichen Erbteil bleibt. Auch die Annahme, dass der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten in einem höheren Maße bedachte hätte, wenn Kenntnis von der Pflichtteilsberechtigung vorlag, ist nicht gerechtfertigt.
Zur Übersichtlichkeit dient folgendes Beispiel: Häufig finden diese Konstellationen Anwendung, wenn der Erblasser bereits fortgeschrittenem Alters ist und eine Person heiratet, welche ihm bereits seit längerer Zeit nahgestanden hat. In bereits vor der Heirat entstandenen Testamenten sind oft die Abkömmlinge aus einer früheren Ehe eingesetzt. Es darf in solchen Fällen nicht als Regel angenommen werden, dass der Erblasser die wohlüberlegte letztwillige Verfügung anders verfasst hätte, wenn er den Umstand der Heirat in seine Überlegung miteinbezogen hätte.
Übergehen wegen einer geringfügigen Zuwendung?
Es wird teilweise vertreten, dass „ganz geringfügige Zuwendungen“ außer Betracht bleiben müssten.
Bei einer solchen Anwendung des § 2079 BGB würde es jedoch zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten kommen, denn wann eine Zuwendung ganz geringfügig ist, ergibt sich nicht aus der Norm.
Daher wird der § 2079 BGB in den diskutierten Fällen meist abgelehnt. Es bleibt allerdings stets der Rückgriff auf § 2078 Abs. 2 BGB.
Anfechtung wegen Irrtum, § 2078 BGB
Liegen die Voraussetzungen des § 2079 S. 1 BGB nicht vor, so ist dies nämlich kein Hindernis für eine Anfechtung nach § 2078 Abs. 2 BGB.
Derjenige, der sich auf die Anfechtung nach § 2078 Abs. BGB beruft, trägt die (schwierige) Feststellungslast. Dementsprechend müsste dieser nachweisen können, dass der Erblasser einem Irrtum bezüglich der künftigen Rechtstellung eines Pflichtteilsberechtigten unterlag und gerade dieser Irrtum für das bestehende Testament kausal war.
Das auf Irrtum beruhende Unterlassen der Errichtung eines (neuen) Testaments ist indes nicht anfechtbar. Schließlich ändert ein nachträglicher Wandel der Bewertung nichts daran, dass das Testament bei seiner Errichtung keinen Fehler aus Sicht des Erblassers aufwies.
Ein Abstellen auf die Anfechtung gem. § 2078 BGB kommt in solchen Fällen nicht in Betracht.
Welches Vorgehen in einem solchen Fall zu empfehlen ist, hängt immer vom Einzelfall ab. Nicht selten empfiehlt es sich daher, einen Fachanwalt für Erbrecht aufzusuchen, um das bestmögliche Vorgehen zu erarbeiten.
Zum Thema der Testamentsanfechtung sowie zu allen anderen erbrechtlichen Themen beraten wir Sie gerne umfassend. Sie erreichen uns unter der Nummer 040/ 528 403 – 0 oder per E-Mail unter info@rugefehsenfeld.de